Glaubenskrieg oder Demokratie? Ein historischer Fluch lastet auf den Deutschen

Das Tausendjährige Reich lastet nicht nur auf dem Gemüt der Deutschen, sondern auch auf deren Verstand − ein Fluch, der offenbar mit der Zeit, die seit dessen Untergang verflossen ist, nicht schwächer, sonder stärker wird. Ein eigenartiges Schauspiel ist derzeit zu beobachten. Fast kann man von einer Einheitsfront gegen „die“ Nazis sprechen, die unter der Bezeichnung „Bündnis gegen rechts“, „Stadt XY stellt sich quer“, „Stadt YZ nazifrei“ oder Ähnlichem auftritt. Wenn dann Oberbürgermeister, Rathausparteien, Gewerkschaften, Kirchen, Sozialvereine und die Antifa, untermalt von der Popmusik einer ortsansässigen Band, im Schulterschluss agieren und eine Stimmung erzeugt wird, dass bei diesem Kampf gegen den politischen Abschaum und das schlechthin Böse („Neonazis in Nadelstreifen“, „Mischpoke“, „Pack“) niemand abseits stehen darf, wird jede kritische Äußerung und jeder politische Einwurf, die nicht zum Gefühlsstrom der „Anständigen“ passen, zu einem riskanten und mitunter gefährlichen Manöver. Ein falsches Wort kann dann schlimme Folgen haben. Wer einmal erlebt hat, mit welcher Inbrunst und Schlagkraft die antifaschistische Gesinnung in aufgeheizter Situation verkündet wird, kann sich eines widersprüchlichen Eindrucks nicht erwehren: Zum einen wird mit der Gebärde des Antifaschismus agiert und ein Widerstand imaginiert, der rund 80 Jahre zuvor bekanntlich weitest gehend ausgeblieben ist − so, als könnte man Hitler und seine Barbarei doch noch mit hinterhereilender Courage besiegen. Zum anderen trägt das Pathos der absolut wahren Einteilung der Menschen in gut (= Anständige, Antifaschisten) und böse (= Nazis, Rassisten) totalitäre Züge, die hinter jedem Abweichler einen Anhänger des Feindes vermuten, der auszuschalten oder abzustrafen ist. (Habermas benutzte zu APO-Zeiten den Begriff des Linksfaschismus). Folge dieser Konstellation ist eine Verblendung, welche demokratische Regeln, vor allem die freie Meinungsäußerung, außer Kraft setzt, ohne die jedoch kein vernünftiger Diskurs über die Erhaltung des Gemeinwohls und die Verteidigung der Freiheit möglich ist.
Wer die offenen Grenzen (Schengener Abkommen) in Frage stellt, wie beispielweise Vertreter der Polizei, läuft Gefahr, als Fremdenfeind oder gar Rassist gescholten zu werden.
Wer gegen islamistische Gegengesellschaften (Kalifate) hierzulande Stellung bezieht, wird schnell des „Rechtsextremismus“ oder der „Islamophobie“ (klingt ja so ähnlich wie Homophobie) bezichtigt.
Vielleicht hilft doch der alte Begriff der Volksseele (einst von Herder eingeführt), um diese geistig konfuse, ja erbärmliche Situation in Deutschland besser zu verstehen − im Land der Reformation und Konfessionskriege, des Nationalismus, Nationalsozialismus und Sozialismus, im Land rechthaberischer Staatsphilosophen und visionärer Weltverbesserer, im Land der ehemaligen Menschenzüchter und Menschenvernichter. Es gibt andere Länder mit historisch ähnlich belastendem Schicksal. Und doch scheint mir, dass kein anderes Land so tiefgehende Wunden der „Volksseele“ zu verkraften hat, dass in keinem anderen Land die Suche nach der „richtigen Linie“, der letzten „Wahrheit“, der juristisch einklagbaren Gerechtigkeit so unerbittlich (und humorlos) verfochten wurde und wird. Wahrscheinlich aber ist diese Aussage selber „typisch deutsch“ und einem Blinden Fleck geschuldet, weshalb ich mich korrigieren möchte: Letztlich haben wohl alle Menschen aller Länder analoge „posttraumatische Belastungsstörungen“ in ihrer Seele zu bewältigen wie die Deutschen, denken wir nur an unsere Nachbarn im Osten: Polen, Ukrainer und Russen, von anderen Weltregionen ganz zu schweigen.

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