Antisemitischer Anschlag am Jom Kippur in Halle — Erklärung der Jüdischen Gemeinde zu Halle vom 14. Oktober 2019

Ich war am 9. Oktober 2019, am Tag des Anschlags, in Halle. Mein Hotel lag zwischen Synagoge und der Döner-Bude. Hätte ich das Hotel anderthalb Stunden später verlassen, wäre ich auf meinem Fußweg dem Täter möglicherweise begegnet. Den Ausnahmezustand in der Stadt habe ich dann bis zum Abend miterlebt. Es wurde in der Folge viel geschrieben und geredet, viele Personen und Institutionen fühlten sich bemüßigt, Erklärungen abzugeben.  Die in meinen Augen bedeutendste Stellungnahme hat die betroffene Jüdische Gemeinde zu Halle abgegeben. Dem ist nichts hinzuzufügen.

In haOlam.de – Nachrichten aus Israel, Deutschland und der Welt wird die betreffende Erklärung mit dem Vorspann veröffentlicht:

“Der antisemitisch motivierte Terroranschlag eines Neonazis in Halle soll in die parteipolitische Auseinandersetzung gezerrt und instrumentalisiert werden. Dagegen verwahrt sich die Jüdische Gemeinde Halle mit einer Erklärung, die wir nachfolgend im Wortlaut veröffentlichen.”

Hier der Link auf die Primärquelle.

Der antisemitische und unmenschliche Terroranschlag am Jom Kippur in Halle (Saale) hat unsere Gemeinde, ebenso wie die gesamte Stadt, schockiert und in tiefe Trauer versetzt. Wir bedanken uns bei den zahlreichen uns bekannten und unbekannten Menschen aus Halle und anderen Orten in Deutschland, Israel, Europa und der gesamten Welt, die ihre Solidarität zum Ausdruck gebracht haben. Die Worte, die wir in E-Mails, WhatsApp- und Facebook-Nachrichten lesen, spielen für uns eine sehr große Rolle. Zeigen sie uns doch, dass wir ein Teil dieser Gesellschaft sein dürfen und dass der Mörder vom 9. Oktober mit seiner Hass-Ideologie und bestialischen Brutalität in absoluter Minderheit bleibt.

Am 9. Oktober sind mehrere unschuldige Menschen Opfer dieser Hass-Ideologie geworden, zwei von ihnen haben ihr Leben verloren… Unsere Gemeinde steht in tiefster Trauer. Wir werden beim kommenden Schabbat-G-ttesdienst ein spezielles Gebet für diese Menschen in der Synagoge sprechen. Wir kennen die Angehörigen der Opfer nicht, möchten jedoch zum Ausdruck bringen, wie sehr es uns schmerzt, was ihren Familien an diesem Tag geschehen ist. Wenn wir in jeglicher Weise helfen können, stehen wir aus tiefstem Herzen jederzeit zur Verfügung. Wir wünschen auch den verletzten Opfern dieses Terroranschlags schnellste Genesung. Und wir wünschen allen, die unmittelbar von diesem bestialischen Attentäter während seines blutigen Irrwegs durch die Straßen Halles und des Saalkreises betroffen waren, eine schnellstmögliche Verarbeitung des Geschehenen.

Leider gibt es bereits Versuche einiger politischer Kräfte, die traurigen Ereignisse des Anschlags für die eigenen politischen Ziele zu missbrauchen. Hier kann nur das wiederholt werden, was wir bereits zuvor betont haben: Der wahre Feind ist der Hass. Egal gegen wen, sei es gegen Juden, Christen oder Muslime – Sunniten oder Schiiten –, oder auch gegen Atheisten oder Agnostiker, gegen Frauen oder Männer, gegen Menschen mit oder ohne Behinderung, gegen Kranke oder Gesunde, gegen Menschen, die angeblich zu intelligent oder zu wenig intelligent sind, gegen Reiche oder Arme. Aber auch gegen denjenigen, die bestimmte Berufe ausüben, z. B. in der Kohlenbranche, bei der Bundeswehr oder bei der Polizei; gegen SUV-Fahrer oder gegen Fahrradfahrer. Das Wort TOLERANZ sollte über die eigenen Ansichten und vor allem über die eigenen Taten gestellt werden. Der politische Missbrauch der Opfer des Terroranschlags in Halle macht uns noch trauriger.

Wir Juden sind Optimisten. Angesichts unserer Geschichte haben wir auch keine andere Wahl. Wir glauben an den allmächtigen und barmherzigen G-tt. Und wir glauben an den von Ihm geschaffenen Menschen, der in absoluter Mehrheit zu Ihm und nicht zum Bösen steht!