Unser Pfarrer Schwarz. Assoziationen zum „Dunkeldeutschland“ à la Gauck

Kürzlich sprach Bundespräsident Gauck vom „hellen Deutschland“, das er „Dunkeldeutschland“ gegenüberstellte. Damit zieht er durch Deutschland eine Trennungslinie, das es in zwei polar gegenüberstehende Teile nach dem Muster zerlegt: hell-dunkel, licht-finster, Tag-Nacht, oben-unten, gut-böse; rational-irrational etc. Nun wissen wir also, wie es um uns steht. Wer möchte da im bösen Dunkel stehen, wer möchte sich nicht mit unserem Staatsoberhaupt im Licht des Guten sonnen? Ein wohliger Schauer wird alle durchrieseln, die sich auf die Seite des Guten stellen. Denn sie können auf jene, die im Bösen verharren, hinabblicken und mitleidig deren Verdammnis betrachten.
Warum taucht bei solchen Gedanken plötzlich in mir eine bestimmte Kindheitserinnerung auf? Oder werden solche Gedanken erst durch diese Kindheitserinnerungen wachgerufen? Ich habe nämlich damals in der protestantischen Dorfkirche meines Heimatortes (genau genommen stand diese im Nachbardorf) in den 1950er Jahren die Macht derselben moralischen Keule wie heute gespürt, womit die Welt apodiktisch in hell und dunkel, gut und böse, errettet und verdammt eingeteilt wird. Die damalige Welt betraf die Dorfgemeinde, einige wenig hundert Menschen. Unser Pfarrer, der ausgerechnet Schwarz hieß, war ein gewaltiger Prediger, ein Haudegen des Evangeliums, das er jeden Sonntag auf seine Weise verfocht. Unvergesslich, wie „Pfarrer Schwarz“, so wurde er allgemein genannt, in seiner schwarzen Amtstracht auf der Kanzel stand und seine blumige Predigt an seine Schäfchen tief unter ihm richtete. Den absoluten Höhepunkt, der niemals fehlte, erreichte der Prediger an der Stelle, wo er auf die Abwesenden, diejenige also, die Gottes Wort am Sonntag nicht hören wollten und mutwillig dem Gottesdienst ferngeblieben waren, schimpfte. Sein vernichtendes Donnerwort richtete die Anwesenden augenblicklich auf, bestätigte ihnen, dass sie die Guten waren. Und mich durchrieselte als Kind dieses wunderbare Gefühl, gut zu sein und nicht verdammt wie diese Bösen außerhalb des Kirchenraums. Wenn ich mich heute frage, was mich bei diesen jahrelang erlebten Gottesdiensten mit dem Pfarrer Schwarz am meisten beeindruckt hat, so fällt die Antwort leicht: Es war genau dieser Trennungsstrich, der von der Autorität gezogen wurde und der einem das sichere Gefühl gab, auf der richtigen Seite zu stehen.
Ich hätte nicht gedacht, dass das jetzige Donnerwort vom „Dunkeldeutschland“ unseres Bundespräsidenten in mir diese Kindheitserinnerung an unseren Dorfpfarrer Schwarz wachrufen würde. Protestantische Prediger verstehen wohl ihr Handwerk, da sie einen direkten Draht zu ihrem Herrgott zu haben scheinen. Damit will ich nicht sagen, dass die Zwischenschaltung eines Stellvertreters besser wäre.