Die “geschlossene Front” der Demokraten im Kampf gegen den Populismus (2017)

Am 24. April 2017 erschien in der FAZ (Nr. 95, S. 8) ein Artikel des Münchner Historikers Andreas Wirsching unter der Überschrift: “Appell an die Vernunft”

Hierzu habe ich einen Leserbrief verfasst, den ich erst am 9. Mai eingereicht habe. Mit seiner Publikation rechne ich nicht. Ich möchte meine Stellungnahme nun in dieser Form dokumentieren.

Leserbrief (bislang unveröffentlicht):

In der Darstellung des Historikers Andreas Wirsching vermisse ich einige Aspekte, die mir für die „Weimarer Verhältnisse“ und ihre fragliche Wiederauferstehung in der Gegenwart wesentlich erscheinen. Der Versailler Vertrag wird mit keinem Wort erwähnt, wirkte aber wie ein Mühlstein am Halse der demokratischen Kräfte in der Weimarer Republik, da er in seiner Monstrosität stetiges Wasser auf die Mühlen der Nationalisten und Revanchisten war. Auch die totalitäre Entwicklung der am Bolschewismus orientierten Kommunisten, die keine Demokratie, sondern die Diktatur des Proletariats nach sowjetischem Vorbild anstrebten, bleibt unerwähnt. Ihre Aktionen trugen neben denen der Nationalsozialisten zur gewalttätigen Bürgerkriegsatmosphäre bei. Im Schlusssatz seines Artikels spricht der Autor im Hinblick auf die gegenwärtige Situation die Hoffnung aus, „dass ein Angriff populistischer Kräfte in Deutschland auf die Gemeinsamkeit der Demokraten und ihre geschlossene Front trifft“. Was unter „Populismus“ zu verstehen ist, wird genauso wenig erläutert wie die „geschlossene Front“ der Demokraten. Offenbar ist das so klar und selbstverständlich, dass man darüber schon gar nicht mehr diskutieren braucht. Wer sich nicht zur „geschlossenen Front“ bekennt und Fragen stellt, gerät heute leicht in den Verdacht, ein Populist, oder noch schlimmer, ein Rechtsextremer oder gar Nazi zu sein. Eine solche Atmosphäre der Einschüchterung (Stichwort: „Schweigespirale“) blockiert die freie Meinungsäußerung (free speech) und damit die demokratische Willensbildung. Diese beruht auf dem Austausch kontroverser Argumente, um dann zu einer Problemlösung auf demokratischer Grundlage zu gelangen. Die Freiheit des Einzelnen ist der Goldstandard, die Währung einer demokratischen Gesellschaft. Wer von einer „geschlossenen Front“ redet, signalisiert damit, dass wir uns im Krieg befinden, in diesem Fall gegen „den“ Populismus. Im Krieg aber gilt Kriegsrecht, individuelle Freiheiten werden eingeschränkt, die Vernichtung des Feinds ist oberstes Ziel. Es wäre schön, wenn wir statt geschlossene Fronten zu bilden zu offenen Dialogen kämen – um nicht in „Weimarer Verhältnisse“ zu geraten.